Messi hat geschrieben:
Gibt es in Schwabing kein Viertel mit Sozialwohnungen?
<i>Gute Lage – nur bis zur nächsten Ecke
Das Image eines Wohnviertels rangiert häufig vor der Qualität der Wohnung
Von Karin Wiest
Kann eine Wohnung in Schwabing tatsächlich noch ein Statussymbol sein? Vieles spricht dafür. Besonders der Mietpreis. Und wie reagieren die Freunde, wenn man ihnen erzählt, man hätte einen Glücksgriff getan und ein sehr schönes, neues Quartier am Karlsfeld oder in Neuperlach beziehen können? Die Münchner Stadtgebiete unterliegen einer recht unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertschätzung. Bisweilen handelt es sich dabei um Vorurteile, die hartnäckig in den Köpfen festsitzen. In der Zwischenzeit stellt sich manche Wohngegend objektiv betrachtet schon anders dar, als es allgemein geglaubt wird. Fest steht aber auch, daß in München die Mietpreise zwischen den einzelnen Stadtgebieten erhebliche Differenzen aufweisen.
Maximilian Dörrbecker, Mitarbeiter des geographischen Instituts der TU, hat rund 35 000 Wohnungsannoncen der SZ, die seit 1997 erschienen sind, nach Quadratmeterpreisen und Wohnlagen analysiert. Ein vorläufiges Ergebnis ist folgendes: Bei der Betrachtung der Ortsteile lassen sich bekannte Wohnklischees bestätigen und Menterschwaige, Solln, Nymphenburg und Schwabing eindeutig als hochpreisige Wohnlagen identifizieren. Bei der feinräumigeren Betrachtung wird jedoch sehr schnell deutlich, daß eine solch pauschale Beurteilung der Wohngebiete als teuer bzw. billig, gut oder schlecht viel zu kurz greift. Charakteristisch ist vielmehr ein sehr kleinräumiges Nebeneinander unterschiedlicher Preislagen innerhalb des Stadtgebiets. Einzelne Straßenzüge, an denen höchste Mieten erzielt werden können, liegen zum Teil. in unmittelbarer Nähe zu billigen Wohnquartieren.
Daß die Mietpreise an großen Ausfallstraßen wie der Dachauer oder der Landsberger Straße sehr niedrig, die unmittelbar angrenzenden Straßen in den Vierteln Neuhausen, Maxvorstadt aber wieder hohe Preisniveaus erreichen oder daß Wohnungen, die direkt gegenüber den Mauern von Stadelheim oder dem Schlachthof liegen, auffällig preiswert sind, überrascht nicht weiter. Deutlich wird durch diese feinkörnige Darstellungsmethode aber, daß sich Wohnungen an verkehrsbelasteten und unattraktiveren Ecken auch dann nicht zu Höchstpreisen an den Mann bringen lassen, wenn sie in einem Stadtteil mit klingendem Namen und positivem Image liegen. Ein räumlich nur grob differenzierter Mietspiegel geht an der Realität vorbei.
55 Makler wurden befragt
Was entscheidet aber nun tatsächlich über Mietpreise und Vermietungschancen? Das Image oder die tatsächliche Wohnqualität? Studenten des geographischen Instituts befragten im Rahmen einer Projektstudie 55 Münchner Makler und diese bestätigen die Analyse der Wohnungsannoncen: Die Preise auf dem Münchner Immobilienmarkt hängen von der großräumigen und noch viel mehr von der kleinräumigen Lage innerhalb des Stadtgebiets ab. Gebäude- und wohnungsspezifische Merkmale rangieren nach Ansicht der befragten Makler erst an zweiter Stelle. So war die Mehrzahl der Ansicht, daß sich das Image eines Viertels stärker auf die Vermietbarkeit auswirkt als die objektive Bausubstanz eines Wohnhauses. Da wundert es nicht, daß positiv besetzte Namen von Münchner Stadtteilen fast automatisch dazu benutzt werden , Immobilienangeboten eine größere Attraktivität zu verleihen und sie so besser vermieten zu können. Dagegen werden negativ besetzte Orte bei Inseraten eher umschrieben bzw. unterschlagen oder Wohnlagen werden neutral als Himmelsrichtung (z. B. München-Ost, München-Nord) dargestellt.
Auch die Immobilienmakler haben festgestellt, daß die negative Meinung über bestimmte Stadtgebiete gar nicht immer mit den realen Wohnbedingungen übereinstimmen muß. Vermietungsprobleme sind durchaus auch auf Image-Probleme zurückzuführen.
Welche Größen sind es also, die die öffentliche Meinung über ein Wohngebiet prägen und seine weitere Entwicklung wesentlich mitbestimmen? Kann z. B. von Sozialwohnungsbeständen, die sich in München meist blockweise konzentrieren, eine negative Wirkung ausgehen? Zwar konstatierten die Makler, daß sich deren Nähe auf umliegende Immobilienangebote mietpreissenkend auswirken könne. Sozialwohnungen sind in München aber nicht unbedingt von außen, an einer einfachen Bauweise, an einem schlechten oder ungepflegten Zustand als solche erkennbar.
Nach Expertenmeinung übt die jeweils ansässige Bevölkerung und insbesondere der Anteil der ausländischen Bevölkerung einen ganz entscheidenden Einfluß auf den Ruf eines Stadtgebiets aus. Bedrückend wirkt in diesem Zusammenhang vor allem die Erfahrung, daß bei einem hohen Ausländeranteil von einer mietpreissenkenden Wirkung und erschwerter Vermietbarkeit auszugehen sei. Zwar werden »multikulti«, »leben und leben lassen« oft als Lebensgefühl propagiert. Im realen Alltag werden dennoch deutliche Barrieren sichtbar, die einem direkten Tür-an-Tür-Wohnen im Weg stehen. Ausländeranteile in einem Wohngebäude zwischen 25 und 50 Prozent scheinen dabei eine Art magischer Grenze zu sein, ab der sich die Vermietbarkeit an deutsche Interessenten deutlich reduziert.
Gleichzeitig ist das Image von Stadtgebieten nicht unabänderlich. Darüber waren sich zumindest auch die befragten Makler weitgehend einig , und dafür gibt es auch in München bereits einige Beispiele. Eines ist der Aufstieg des alten Glasscherbenviertels Haidhausen. Das ehemalige Arbeiterwohngebiet mit einem hohen Ausländeranteil konnte sich in den achtziger Jahren zu einem ausgesprochenen »In-Viertel« mit entsprechenden Mietpreisen entwickeln. Hier stellt sich natürlich die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit in einem Wohngebiet ein Aufwärtstrend einsetzt und unter welchen Bedingungen sich eine Abwärtsspirale kaum aufhalten läßt.
Kommunalpolitische Entscheidungen wie die Ausweisung eines Sanierungsgebiets, aber auch der jeweilige Zeitgeist spielen hier eine wichtige Rolle. Gefährdet erscheinen dabei in München derzeit weniger die innenstadtnahen Wohngebiete als vielmehr randstädtische, monostrukturierte Bereiche. Wie werden sich die großen Wohnungsneubaugebiete weiterentwickeln, die zwischen Nachkriegsjahren und Olympia- Boom errichtet wurden: Blumenau, Fürstenried/Forstenried, Hasenbergl, Neuaubing, Oberföhring u. v. m., in denen sich auch ein großer Teil der Münchner Sozialwohnungen konzentriert? Die Gefahr, daß sich einzelne Quartiere mit schlechterem Wohnwert zu sozialen Problemgebieten entwickeln könnten, wird gegenwärtig vor allem durch zwei Entwicklungen begünstigt:
1. Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten ist der Anteil der Sozialwohnung in München stark unterdurchschnittlich. Durch das Auslaufen der Sozialbindungen schmilzt dieser ohnehin geringe Bestand weiter stark zusammen. Eine zunehmende Konzentration von Problem- und Randgrupen auf die wenigen verbleibenden Einheiten ist fast vorprogrammiert. Vor allem die Wohnungen, die in den sechziger und siebziger Jahren errichtet wurden, fallen derzeit nach und nach aus der Bindung und damit unter die Gesetzes des »freien Marktes«. Jährlich sind es etwa 5000 Einheiten. Da die finanziellen Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau vom Bund drastisch reduziert wurden, können die Verluste durch Neubau bei weitem nicht ausgeglichen werden. Diese Rahmenbedingungen treffen die Kommune besonders hart: Die Schere zwischen verfügbarem Wohnungsbestand und Bedarf wird immer größer. Die Handlungsspielräume der Stadt München werden immer enger. Bereits heute haben nur Haushalte mit hohen Dringlichkeitsstufen Aussicht auf eine Sozialwohnung. Waren die Bestände ursprünglich für die untere Mittelschicht vorgesehen, entwickeln sie sich mehr und mehr zu den Wohngebieten der Empfänger von Transfer-Leistungen.
2. Auch die aktuelle Beruhigung auf dem Wohnungsmarkt kann sich auf weniger angesehene Wohngegenden nachteilig auswirken. Von der Entspannung in den letzten beiden Jahren konnten bisher vor allem einkommensstärkere Nachfrager profitieren: Auf den teureren Marktsegmenten bestehen zur Zeit relativ große Wahlmöglichkeiten nach Lage und Ausstattung. Dadurch werden Wegzüge der Besserverdienenden aus unattraktiveren Wohnlagen begünstigt. Die Unterschiede zwischen bevorzugten und weniger bevorzugten Gegenden kommen unter diesen Bedingungen deutlicher im Preis zum Ausdruck. Für Wohnungen in schlechten Lagen, die zu den Zeiten der Wohnungsnot noch zu hohen Quadratmeterpreisen vermietet werden konnten, sind unter den Voraussetzungen eines entspannteren Marktes keine Abnehmer mehr zu finden.
Dr. Karin Wiest ist Absolventin des Geographischen Instituts der TU München.</i>