Dann will ich hier auch mal beschreiben, wie alles so anfing.
Mein Beitrag ist jetzt noch länger als der von Bommel, aber ich hab wirklich alles reingeschrieben, was mich in den 24 Jahren so begleitet hat mit der Serie.
Vielleicht hat ja jemand Lust, dran teilzuhaben
Ich saß am Samstag, den 04.12.1985 mit meinen Eltern beim Abendessen, als kurz vor der Tagesschau eine Vorschau kam. Da saß die Familie Beimer ebenfalls beim Abendessen und jeder sagte ein oder zwei Sätze. Am Ende sagte dann Marion: "Die Lindenstraße. Ab nächsten Sonntag immer um 18.40 Uhr in der ARD."
Meine Eltern und ich guckten uns an und beschlossen, das müssen wir gucken!
Und so saßen wir am Abend drauf vor dem Fernseher und schauten die allererste Folge Lindenstraße.
Ich war damals ja erst 6 Jahre alt, aber ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich mich an so viele Einzelheiten erinnern kann, wie an sonst nichts in meiner Kindheit. Teilweise blieben mir exakte Sätze und Dialoge, auch Gesichtsausdrücke von Anfang an bis heute in Erinnerung.
Natürlich verstand ich nicht alles, um was es in der Serie ging.
Dazu muss ich sagen, meine Eltern waren einfach klasse. Ich durfte ausnahmslos jede Folge gucken (wurde sogar extra ins Wohnzimmer gerufen, wenn es losging und musste immer den Videorecorder programmieren, wenn wir mal nicht da waren
.) und meine Eltern haben mir alles geduldig erklärt, was ich nicht verstand. Heute muss ich sogar sagen, dass ich der Listra einen großen Teil meiner Aufklärung zu verdanken habe (nicht im sexuellen Sinn, aber sie hat mir sehr viel über das Leben beigebracht, z.B. AIDS, Homosexualität, Trennungen/Scheidungen, Drogensucht usw.)
Ich möchte euch einige Aha-Erlebnisse erzählen, die ich durch die Listra hatte:
=> 1986: Dr. Dressler erzählt Elisabeth, dass Carsten homosexuell ist. Was ist das denn?
Meine Mutter, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden: "Wenn ein Mann einen Mann liebt."
Aha, so einer ist der Carsten also. Dann hat der keine Freundin, sondern einen Freund!
=> 1986: Henny sagt zu Franz, dass sie mit Nossek ihren ersten Orgasmus hatte. Was ist das denn? Das hab ich damals nicht gefragt, aber ich konnte mir schon zusammenreimen, dass es was "schlimmes" war, an den Reaktionen von meinen Eltern und Franz
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=> 1987: Meike Schildknecht geht es schlecht. Ich vermute, dass sie krank ist und spreche meine Mutter drauf an. "Ja, die hat Leukämie, das ist Blutkrebs. Sie stirbt in Folge 81."
Meine Mutter war schon eine krasse Spoilerin zu der Zeit
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=> 1988: Benno erzählt, er hat AIDS. Aha, das ist doch ne schlimme Krankheit. Ein paar Tage später hat meine Mutter mir dann genauer erzählt, was bei der Krankheit so alles passiert.
=> 1988: Hans Beimer hat Frau Ziegler geküsst. Ein paar Folgen später sitzt sie bei Dr. Dressler im Sprechzimmer. Meiner Mutter: "Aha, ich wusste es, die ist schwanger!" Schwanger? Von Hans Beimer? Aber der ist doch mit Helga verheiratet...
=> 1989: Dominique hat ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater und der fängt was mit der jungen Tanja an. Isolde äußert im Friseursalon die Vermutung, dass Dominiques Vater sie vielleicht missbraucht haben könnte. Das hatte meine Mutter schon seit einigen Wochen behauptet und ich fand es auch logisch, was sie mir über Missbrauch erzählte. Ja, das passte zu Dominiques Verhalten. "Und die Isolde ist ja jemand, der die Dinge gern auf den Punkt bringt. Die hat bestimmt Recht", sagte meine Mutter. (Die Theorie hat sich dann zwar nicht bestätigt, aber es war unheimlich spannend für mich).
=> 1990: Hans und Helga fetzen sich ununterbrochen, Helga redet in einem Ton mit Hans, dass mein Vater die Krise kriegt: "Der würd ich was erzählen, mit ihrer Leidensmiene! Wird Zeit, dass er geht. Von der anderen hat er doch viel mehr!"
Stimmt, die Anna ist viel netter zum Hans als die Helga im Moment. Der kann ja auch nichts dafür, wenn er jetzt die Anna liebt.
=> 1990: Hubertchen sitzt ständig vor dem Spielautomat. Mein Vater mutmaßt schon, aha, der Hubert wird doch nicht spielsüchtig werden? Was ist denn spielsüchtig?? "Das ist wie drogensüchtig, die Leute können einfach nicht mehr aufhören und verlieren dann alles Geld, was sie haben." erklärte mir mein Papa. Mensch und das ausgerechnet der korrekte Hubert!
=> 1990: Frank Dressler kommt aus Amerika zurück und sieht fürchterlich aus. Herion?! Was ist das denn? Mein Vater: "Ach, du Schande, der ist drogensüchtig." So sieht ein Drogensüchtiger aus? Oh je, der arme Frank!
Aber weiter in der Geschichte. Die Lindenstraße war wie gesagt "Pflichtprogramm" bei uns zu Hause. 1987 waren wir im Urlaub auf Menorca. Ich lernte einige Mädels in meinem Alter kennen und wir sprachen über unsere Lieblingsserien. "Der kleine Vampir" und solche Serien fielen. "Meine Lieblingsserie ist die Lindenstraße. Da ist jetzt gerade ein Mädchen mit 12 Jahren gestorben, das war voll traurig." sagte ich und fühlte mich ganz erwachsen
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Ich kannte sonst kein Kind, das die Serie auch schaute. Erst als ich auf Gymnasium kam 1989 hatte ich eine Mitschülerin, die die Listra auch mochte. Von da ab wurde dann jeden Montag diskutiert.
Im Dezember 1991 begann der WDR mit den Wiederholungen der ersten Folgen. Ich hab mich gefreut wie ein Schneekönig und saß jeden Tag gespannt davor.
Dann kam der Sonntag, 02.02.92. Die Folge endete damit, dass Klausi betrunken im Treppenhaus herumliegt, als Helga und Erich nach Hause kommen. Meine Eltern waren entsetzt, ich auch, aber irgendwie hatte ich plötzlich ein komisches Gefühl im Bauch. So ein Gefühl, was ich bisher bloß von dem Typen aus der 8. Klasse kannte, in den ich verknallt war.
Am Sonntag drauf, dem 09.02. mit Folge 323 fing es dann an: Ich war hoffnungslos und bis über beide Ohren in Klausihase verschossen!
Und ab dem Zeipunkt fing auch meine richtige hardcore-Fanzeit an. Ich war total besessen, sammelte jeden Zeitungsschnipsel über die Serie und erstellte sogar ein eigenes handgefertigtes Buch mit sämtlichen Fakten und Daten zur Serie. Ich begann, richtig mit der Serie zu leben, kein Tag verging ohne die Wiederholungen auf WDR und die aktuelle Folge auf Video. (Als der WDR die Wiederholungen absetzte, rief ich übrigens empört dort an und verlangte eine Erklärung!)
Ich habe sogar die Szenen mit Klausimausi alle auf Cassette aufgenommen und den ganzen Tag im Walkman gehört
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Ein weiterer Höhepunkt kam im Juni 1993. Meine Mutter zeigte mir einen Zeitungsausschnitt vom WDR Publik, wo man in Köln die Außenkulisse besichtigen und sogar Schauspieler treffen könne!
Viele Telefonate mit dem WDR, der Bahn und dem kölschen Nahverkehr später (für die sich mein Vater opferte, der seine 14-jährige Tochter gut aufgehoben wissen wollte) kam die Erlaubnis von meinen Eltern: "Also, du darfst da hinfahren. Aber du nimmst die Oma mit!"
Und so kam es: Vanessa fuhr mit IC und Oma am 01.08.1993 in das 400 km entfernte Köln zur Lindenstraße!
Ich war dermaßen nervös, dass ich, auf der Straße angekommen, gleich ein paar Tränchen verdrückte. Hier ist er also jeden Tag. Mein Klausimausi. Nur leider war er an diesem Tag nicht da...
(dafür Annemarie Wendl und Franz Rampelmann).
2 Jahre später aber - mein exzessives Fanleben hatte noch nicht nachgelassen - fuhr ich wieder nach Köln. Am 02.07.95 zur Feier der 500. Folge. Und da ist es dann tatsächlich passiert: Moritz A. Sachs lief mir über den Weg!
Ich bin dem Pulk Leute gefolgt, die hinter ihm her waren und immer nur "Klausi" riefen. Irgendwann löste sich der Pulk dann auf und ich fasste mir ein Herz. "Moritz?" rief ich hinter ihm her. Er drehte sich sofort um, sah mich, lachte mich an und meinte "endlich mal jemand, der meinen Namen kennt!"
Ich hab ihn nur angestarrt glaube ich und konnte gar nichts mehr sagen, außer, ob wir ein Foto zusammen machen können. Klar, sagte er und entschuldigte sich noch dafür, dass er so verschwitzt war, aber es war super stressig für ihn an dem Tag
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Das war bisher eigentlich der absolute Höhepunkt in den 24 Jahren Lindenstraße. Ich traf noch etliche andere Schauspieler.
1997 fuhr ich nochmal nach Köln, aber diese Feier war mehr ein Massengedränge als sonstwas. Schauspieler hat man kaum gesehen, dafür schob man sich durch die Menge.
Meine Verknalltheit Moritz/Klausi gegenüber war inzwischen auch vorbei. Wenn er in der Serie erschien, hatte ich zwar immer noch dieses Kribbeln, aber dieses fanatische Angehimmle war schätzungsweise 1996 vorbei.
1998 fing dann gaaaanz langsam die Phase an, in der ich auch nicht mehr mit so einer Besessenheit jeden Sonntag vor dem Fernseher saß. Meine Eltern waren nach 12 langen Jahren auch ausgestiegen. "Das wird auch immer blöder," war die Aussage und ich saß ab sofort allein vor der Glotze
. Die alten Folgen sah ich nach wie vor mit Genuss (inzwischen auf MDR), aber die aktuellen rissen mich plötzlich nicht mehr so.
Das Ganze intensivierte sich noch bis ca. 2001. Zwischen 1999 und 2001 hatte ich meinen absoluten Tiefpunkt was die Serie anging. Zwar war sie immer unangefochten meine Lieblingsserie, aber diese Besessenheit war verschwunden. Die Sonntagabende eher Gewohnheit als Aufregung und immer öfter mit einem Augenrollen meinerseits versehen, angesichts der haarsträubenden Stories zu dieser Zeit (allem voran die Geschichte mit Olli und Olaf als gefälschte Knochenmarksspender. Für mich der absolute Tiefpunkt in 24 Jahren Lindenstraße). So einige Stories interessierten mich überhaupt nicht, nervten mich sogar. Nichts im Vergleich zu früheren Zeiten.
Erst 2002 ging es allmählich wieder aufwärts. Sarahs Bulimie fesselte mich erstmals wieder und auch wie alles mit Urzula und Brenner anfing. Das Jahr 2004 brachte mich dann endgültig wieder auf meine alte Lindenstraßen-Spur zurück (Majas Tod, Iffi und Jan bzw. Iffis Reunion mit Momo, Gabi und der Briefträger...)
Tja, und Anfang 2005 fing dann auch meine Forenzeit an. Seither ist sowieso nicht dran zu denken, dass dieser Wahn jemals besser wird!
2005 bin ich auch nochmal zur 20-Jahres-Feier nach Köln gefahren, wo ich Moritz wiedergetroffen habe. Wir haben uns prächtig unterhalten, ich sagte ihm, dass wir uns vor 10 Jahren schon getroffen haben und ich damals ja sooo verknallt in ihn war
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2008 auf dem Umwelttag in München ging dann auch noch ein weiterer Wunsch von mir in Erfüllung: Irene Fischer und Sybille Waury zu treffen.
Inzwischen hatte ich mir auch die ersten 6 Jahre der Serie auf DVD gekauft und ab Jahr 7 auch über 1Festival sämtliche Folgen auf DVD gebrannt, so dass ich jederzeit meiner Sucht nachgehen kann
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Ich denke, dass die Serie mich wahnsinnig geprägt hat, gerade weil sie mich jetzt schon 24 von 30 Jahren begleitet. Besonders die Jahre 1987-1995 waren für mich sehr intensiv, und wieder seit 2004. Sie ist ein Teil meines Lebens und ich möchte sie nicht mehr missen.
Auch wenn es immer mal Tiefpunkte gab und geben wird, so bleibt sie für mich doch immer die beste Serie der Welt und mein zweites Leben
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