Mäßigung und Mäßigkeit
von Adalbert von Scharmissel

I.
Laßt das Wort uns geben heute,
uns vom Trunke zu entwöhnen.
Ziemt sich´s für gesetzte Leute,
wüst der Völlerei zu frönen?
Nein! Es ziemt sich Sittsamkeit.
Gutes Beispiel will ich geben.
Mäßigung und Mäßigkeit.
Hebt das Glas, sie sollen leben!
Mäßigung und Mäßigkeit.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Leert darauf das volle Glas!


II.
Seht, ein Glas ist Gottes Gabe,
und das zweite stimmt uns lyrisch.
Wenn ich gegen drei nichts habe,
machen viele uns doch tierisch.
Trinket mehr nicht als genug!
Und mein Lied will ich euch singen.
Mäßigkeit und Mäßigung.
Laßt die vollen Gläser klingen!
Mäßigkeit und Mäßigung.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Leert darauf das volle Glas!


III.
Seht den Trunkenbold in schrägen
Linien durch die Gassen wanken.
Kommt die Hausfrau ihm entgegen,
hört sie keifen, hört sie zanken.
Das verdient Beherzigung.
Laßt uns an der Tugend haften.
Mäßigkeit und Mäßigung.
Pereant die Lasterhaften!
Mäßigkeit und Mäßigung.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Leert darauf das volle Glas!


IV.
Was hast, Schlingel, du zu lachen?
Will das Lachen dir vertreiben.
Dich moralisch auch zu machen,
dir die Ohren tüchtig reiben.
Pack dich fort bei guter Zeit!
Doch ich will mich nicht erboßen.
Mäßigung und Mäßigkeit.
Eingeschenkt und angestoßen!
Mäßigung und Mäßigkeit.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Leert darauf das volle Glas!


V.
Modus, ut nos docuere,
Sit in rebus, sumus rati.
Medium qui tenuere,
nominati sunt benati.
C´est le juste Milieu zur Zeit!
Ergo! Ergel! – Deutsch gesprochen:
Mäßigung und Mäßigkeit.
Frisch das Glas nur ausgestochen!
Mäßigung und Mäßigkeit.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Leert darauf das volle Glas!


VI.
Nüchtern bin ich, Wein her, Wein her!
Immer nüchtern, das versteht sich.
Nur das Haus, der Boden, – Nein, Herr,
nicht betrunken! – Wie doch dreht sich
alles so um mich im Schwung?
Laß mich, Kellner, laß mich liegen!
Mäßigkeit und Mäßigung.
Heute muß die Tugend siegen!
Mäßigkeit und Mäßigung.
Maaaaaaaß! Maaaaaaaß!
Noch so ein Glas, ja, noch so ein Glas!