Das 23. Türchen
Teil 23
Samstag, 23.12.2006
Der Weihnachtsmann lehnte an der Aussenwand des Akropolis und schaute sich um. Heute war der Samstag vor Weihnachten und die Menschen spielten wieder mal alle verrückt. Schnell mussten noch allerhand Besorgungen gemacht werden, als ob in den letzten Tagen nicht genug Zeit dafür gewesen wäre. Aber nein, diese Menschen mussten wieder alle bis auf den letzten Drücker warten und dann auch noch so tun, als gäbe es nach den Feiertagen nichts mehr.
Mit Einkaufstüten bepackt stackste Anna aus dem Supermarkt und steuerte auf die Kastanienstraße zu, wo Helga mit einem Korb voller Obst den Gemüseladen verließ. Als sich die Wege der beiden Frauen kreuzten, war alles, was sie sich gegenseitig gönnten ein flüchtiges Kopfnicken untermalt von einem verkrampften Lächeln.
Vor dem Café Bayer stand Gabi und unterhielt sich hektisch mit ihrer Mutter Rosi.
Iffi und ihre Tochter Antonia verließen gerade das Haus Nr.3, als ihnen Mary auf dem Gehweg entgegen kam.
"Hallo, ihr zwei", begrüßte die Afrikanerin sie. "Auch schnell noch ein paar Besorgungen machen?"
"Ja", erwiderte Iffi, " uns fehlt noch so einiges."
Im Nu waren die beiden Frauen in ein Gespräch vertieft, während Antonia mit schnellen Trippelschrittchen um sie herumwuselte.
"Antonia, bleib schön hier", ermahnte Iffi ihre Tochter.
"Ja" quiekte das Kind und tippelte weiter um die beiden Frauen herum, die sofort wieder in ihr Gespräch versanken.
Der Weihnachtsmann löste seinen Blick von ihnen und beobachtete die anderen gestressten Leute, die in der Gegend umhereilten.
Bald würde es zu dämmern beginnen, dann würde Rudolph ihn im kleinen Park wieder abholen. Endlich, endlich ging es zurück an den Nordpol, dahin, wo er seine Ruhe hatte.
Der Weihnachtsmann beobachtete gerade Sabrina Buchstab. Sie verließ gemeinsam mit dem jungen Mann, den Jack als Herr Ernie bezeichnet hat ihren Laden. Sie umarmte ihn und sagte. "Bis später, Roberto", dann drückte sie ihn einen fetten Kuss auf die Wange. Der Weihnachtsmann erstarrte. Die beiden auch...? Hatten die etwas auch eine Affäre miteinander?
"Ciao, Mama", antwortete Roberto und dem Weihnachtsmann viel ein Felsbrocken vom Herzen. Die beiden waren Mutter und Sohn... na Gott sei Dank...
Gedankenverloren schaute der Weihnachtsmann in den Himmel, als er plötzlich von einem gellenden Schrei aufgeschreckt wurde.
"Antonia?" rief Iffi entsetzt und drehte sich hysterisch im Kreis. "Antonia! Wo ist meine Tochter? Wo ist Antonia?"
Der Weihnachtsmann erschrack. Von Antonia war weit und breit nichts mehr zu sehen. Mary wurde nervös, Iffi war bereits vollkommen hysterisch.
"Was ist den los?" quietschte Hilde Scholz, die sich aus ihrem Küchenfenster beugte. "Ist was passiert?"
"Meine Termite ist weg!" kreischte Iffi und die Tränen liefen ihr übers Gesicht.
"Termite?" fragte Hilde verblüfft.
"Ihre Tochter Antonia", erklärte Mary.
"Oh nein", entfuhr es Hilde.
Iffi rang nach Luft.
"Beruhige dich", sagte Mary, "sie kann ja noch nicht weit sein, wir finden sie bestimmt. Du gehst in diese Richtung und ich in die andere."
Und schon eilte Mary los Richtung Kastanienstraße, während Iffi in Richtung Ulrike-Böss-Straße ging. Auf Höhe der Villa Dressler kam ihr der langhaarige Rastaträger mit einem Fahrrad entgegen.
"Momo, Antonia ist weg", jammerte Iffi verzweifelt.
In Windeseile erklärte sie ihm , was geschehen ist. Schon saß Momo wieder auf dem Rad und bog in die Ulrike-Böss-Straße ein, während Iffi in den Park rannte. Der Weihnachtsmann folgte ihr. Auf dem Spielplatz gebn es keine Spur von Antonia. Iffi schlug sich ins Gebüsch und folgte dem kleinen Trampelpfad zum Ententeich. Völlig außer Puste kam sie dort an, aber auch hier sah man nichts von der Termite. Schluchzend rannte Iffi den Weg zurück, der Weihnachtsmann dicht hinter ihr,
Als sie wieder in der Lindenstraße ankamen, war dort im wahrsten Sinne des Wortes das Chaos ausgebrochen. Hilde hatte in Windeseile die halbe Nachbarschaft über das Verschwinden der kleinen Antonia informiert und eine ganze Menschenmasse war bereit, bei der Suche zu helfen.
"Ich hab schon mit meinen Kollegen telefoniert", sagte Nina. "Die Streifenwagen hier in der Gegend sollen die Augen aufhalten."
"Komm, Murat", rief Lisa, "wir klappern die ganze Hinterhöfe ab."
"Ich mache Telefondienst", gab Ludwig wichtigtuerisch von sich.
"Telefondienst?" lästerte Jack spitz. "Meinst du, das Kind ruft dich auf deiner Jammer-Hotline an oder was?"
"Ich meinte damit, dass ich die Krankenhäuser anrufen werde, um zu hören, ob sie irgendwo eingeliefert wurde", erwiderte der Doc und ließ sich von seinem treuen Gung ins Haus zurück bringen.
"Krankenhäuser?" fragte Iffi schockiert.
"Keine Panik", meinte Jack, "der olle Doc hat manchmal eine leichte dramatische Ader."
Jack und Roberto machten sich auch auf die Suche, ebenso Helga, Erich, Hans, Anna, Sabrina, Hajo, Hilde, Christian, Urszula, Irina, Tom, Sophie, Klaus, Alex, Nastya, Vasily und Elena. Selbst Tanja und Suzanne schlossen sich ohne zu zögern der Suche an, dabei hatten die doch nun wirklich ihrre eigenen Probleme im Moment.
Es begann zu dämmern und von Antonia fehlte immer noch jede Spur. Die Suchtrupps sammelten sich zwischenzeitlich immer wieder in der Lindenstraße, hielten kurze Lagebesprechungen, formierten sich neu und verteilten sich wieder in alle Himmelsrichtungen. Wohin konnte ein so kleines Kind nur in so kurzer Zeit verschwunden sein? Iffi stand schluchzend auf dem Gehweg, Andy und Gabi vesuchten vergebens, sie zu beruhigen.
Marcella und Julian kamen aus dem Moorse und balancierten Tabletts mit heißem Kaffee quer über die Lindenstraße.
"Was zum aufwärmen für die Sucher", sagte Marcella.
"Soll ich dir lieber einen Tee oder sowas bringen?" fragte Julian die bebende Iffi.
"Ich will keinen Tee", kreischte sie. "Und auch keinen Scheiß-Kaffee." Mit diesen Worten klatschte sie drei Kaffeebecher gleichzeitig gegen eine Hauswand. "Ich will nur meine Tochter", schluchzte sie hysterisch.
"Komm mit in meine Praxis", forderte Carsten sie auf. "Da kann ich dir was zur Beruhigung geben."
"Ich will auch nichts zur Beruhigung" wimmerte Iffi.
Der Weihnachtsmann blickte zum Himmel. Es war fast dunkel, für ihn wurde es Zeit. Jeden Moment würde Rudolph kommen und ihn abholen. Einen Moment lang dachte er nach. Konnte er jetzt wirklich so einfach abhauen? Wer war denn jetzt egoistisch und selbstsüchtig? Dann schüttelte er entschlossen den Kopf. Das Kind würde schon wieder auftauchen. Mit eiligen Schritten lief er in den Park. Er war kaum dort angekommen, da hörte er auch schon das Geläut seiner Schlittenglocken. Und Sekunden später landete Rudolph mit seinem Schlitten hinter einem dichten Gebüsch. Erleichtert, endlich nach Hause zu kommen, ging der Weihachtsmann auf den Schlitten zu und stieg ein. Der Schlitten erhob sich und flog bereits einige Meter über dem Erdboden, als der Alte etwas im Gebüsch rascheln hörte.
"Antonia", sagte er überrascht, als er die kleine Gestalt dort entlangstolpern sah. "Flieg ihr nach Rudolph."
Rudolph befolgte den Befehl seines Herrn und flog langsam über das Gebüsch hinweg. Angestrengt starrte der Weihnachtsmann hinunter und versuchte, Antonia zu erkennen, doch es war schon viel zu dunkel. Plötzlich aber sah er sie. Sie stand am Randes des Ententeiches.
Es war ziemlich kalt geworden und auf dem Teich hatte sich eine dünne Eisschicht gebildet. In der Mitte hockten die Enten und schmiegte sich aneinander. Und nun betrat auch Antonia das Eis, um zu ihnen zu kommen. Der Weihnachtsmann erstarrte. Die Enten mochte das Eis ja vielleicht gerade noch tragen, aber für einen Menschen, auch wenn es nur ein sehr kleiner war, war es eindeutig nicht stabil genug.
Antonia kam keine drei Schritten weit, da rutschte sie auzs und landete lang auf dem Bauch. Das Eis krachte bedrohlich. Antonia ließ sich jedoch nicht beirren und kroch auf allen Vieren weiter.
"Antonia", rief der Weihnachtsmann, " geh sofort zurück, dass ist gefährlich." Doch das Kind zeigte zur Überraschung des Alten keine Reaktion.
"Ich bin's, Termite, der Weihnachtsmann", rief er verzweifelte.
"Sie hat verlernt, mit dir zu kommunizieren", erklng plötzlich die helle Stimme des Christkindes vom Himmel.
"Wie meinst du das?" fragte der Weihnachtsmann verwundert.
"Sie hat vorhin ihre erste Lüge ausgesprochen", erklärte das Christkind. "Als ihre Mutter sagte, sie solle schön bei ihr bleiben, da hat sie ja gesgt, ist aber im gleichen Moment fortgelaufen. Damit hat sie die Fähigkeit verloren, mit dir zu kommunizieren und zu verstehen, was du meinst, wenn du sagst, es sei gefährlich aufs Eis zu gehen."
Entsetzt rief der Weihnachtsmann seinem Rentier zu: "Los Rudolph, wir müssen nochmal zur Lindenstraße."
Rudolph flog einer Schleife und war Sekunden später dort, wo der Weihnachtsmann hinwollte.
Unten auf der Straße tummelte sich immer noch eine aufgebrachte Menschenmenge. Der Kreis der Suchenden wurde immer größer. Der Weihnachtsmann nahm all seinen Mut zusammen und brüllte herunter: "Schnell! Antonia ist auf dem Ententeich!"
Nach einem Moment der Verwirrung, wo diese Stimme herkam, setzte sich die Masse in Bewegung, durchquerte den Park, durchkemmte das Gebüsch und war kurz darauf am Teich.
Antonia hatte ihre geliebten Enten fast erreicht.
"Antonia, beweg dich nicht", kreischte Iffi und befand sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
"Mama" quietschte Antonia begeistert und wippte auf und ab. In diesem Moment brach das Eis unter ihr und Antonia versank im eiskalten Wasser...
Fortsetzung folgt...
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