In der “Lindenstraße” wurde er von seinem Sohn getötet, in “König Ödipus” tötet er seinen Vater. Michael Marwitz spielt bei den Antikenfestspielen die Titelrolle in der Tragödie von Sophokles (Premiere am 30. Juni im Amphitheater). 16vor.de sprach mit dem 51-jährigen Theater-, Film- und Seriendarsteller (u.a. “Derrick”, “Die Wache”, “Frauenarzt Dr. Markus Mertin”) über seine geplante Karriere als Geiger, seine Verbindung zu Trier und die Haltung zu seinem Beruf.
16vor.de: Haben Sie einen Bezug zu Trier?
Michael Marwitz: Nein, ich bin ein furchtbarer Banause. Ich hatte in Geschichte eine fünf oder eine sechs. Ich wollte Geiger werden. Mit elf Jahren habe ich angefangen, zu spielen. Bis zur zehnten Klasse war ich ein Primus und Einser-Schüler. Dann wollte ich von der Schule nichts mehr wissen. Ich wollte ein großer Geiger werden und habe sechs Stunden am Tag geübt. Mit Ach und Krach habe ich mein Abi gemacht. Geschichte war etwas Furchtbares. Inzwischen bereue ich das. Mein Vater sagt immer: “Du weißt nicht mal, wo Trier ist. Das ist nicht zu fassen”. Ich habe auch nicht gewusst, dass es die älteste Stadt Deutschlands ist. Das finde ich peinlich.
16vor.de: Warum sind Sie dann doch Schauspieler und nicht Musiker geworden?
Michael Marwitz: Weil ich mit elf Jahren sehr spät angefangen habe und mit 60 nicht irgendwo im Orchestergraben als dritte Geige mit einem Buckel verschimmeln wollte. Obwohl ich die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Bremen bestanden habe und einen super Lehrer bekam. Der sagte aber: “Du bist schweinebegabt, aber Du musst zwei Jahre lang nur Technik machen”. Das heißt, Du spielst keine Stücke, sondern nur Lagenwechsel, Technik, Etüden, Intonationsübungen und so weiter. Das habe ich dann ein Dreivierteljahr sechs Stunden am Tag gemacht. Da habe ich gemerkt, wie das Leben an mir vorbei rauscht. Und ich mich nur allein mit meinem Instument in einem Elfenbeinturm befinde. Das habe ich nicht ertragen. Du musst als Musiker besessen sein, darfst aber nicht unbarmherzig im Anspruch an Dich werden. Und das war ich damals. Ich war jung und unbarmherzig. Anderen und mir gegenüber auch. Ödipus ist übrigens auch so.
16vor.de: Hatte Ihre Entscheidung, Schauspieler zu werden, mit Ihrer Familie zu tun?
Michael Marwitz: Ja, aber deswegen griff ich mit elf Jahren zuerst zur Geige. Weil ich dachte, Opa war Schauspieler, Oma väterlicherseits war Schauspielerin, Papa ist Schauspieler, Tante - die Schwester meines Vaters - ist Schauspielerin, das musste in der dritten Generation nicht nochmal vollzogen werden. Wo andere sagen: “Ist doch super, Du bist Schauspieler. Mein Vater ist Dachdecker und ich musste auch Dachdecker werden. Sei doch froh, dass Du Schauspieler bist”. Für mich war das nichts Besonderes. Ich fürchtete mich davor, in dritter Generation wieder Schauspieler zu werden. Außerdem hatte ich Angst, dass in der dritten Generation die Gene ein bisschen schlapp geworden sind.
16vor.de: Wie ist der Kontakt nach Trier zustande gekommen?
Das ist eine Verbindung, die lange zurück liegt. Ich habe mit Gerhard Weber (Anm.: dem Intendanten des Trierer Theaters) eine sehr schöne Inszenierung in Lübeck gemacht, wo ich drei Jahre am Haus war. Dort inszenierte Weber “Nachtasyl” von Maxim Gorki und ich spielte den Satin. Das ist über 20 Jahre her. Und ich las vor Monaten, dass er hier in Trier ist, und dachte: “Hey, dem kannst Du mal eine Mail schicken”. So kam ein vorsichtiger Kontakt zustande. Herr Weber weiß nach 20 Jahren ja nicht, ob dem Marwitz inzwischen ein Arm abgefallen ist, oder wie der überhaupt drauf ist. Nach ersten Gesprächen kam dann das Angebot: “Hättest Du Lust, hier Ödipus zu spielen?”
Michael Marwitz spielte von 1993 bis 2000 Kurt Sperling in der “Lindenstraße”. Foto: ARD16vor.de: Wenn Sie heute Theater spielen, kommen die Zuschauer, weil sie ein Star in der “Lindenstraße” waren?
Michael Marwitz: Das weiß ich nicht. Dieses ständige Einteilen ist in Deutschland ganz kompliziert und schwierig. Dieses Einteilen nach Daily, Weekly, Spielfilm, großes Theater, Provinztheater ist absolut schwachsinnig. Als Schauspieler bin ich ein Handwerker, habe meinen Job gelernt und da wo man mich haben will, mache ich meinen Job. Die wenigsten können sich aussuchen, was sie machen wollen. Von daher ist die “Lindenstraße” in meiner Biographie nie etwas gewesen, wo ich sage: “Das war furchtbar”. Die “Lindenstraße” war, als sie anfing, ein stinkender Stiefel der Medienlandschaft. Als Theaterschauspieler war es damals verpönt, Fernsehen zu machen. Da hat sich einiges geändert. Jetzt wird es in die andere Richtung übertrieben. Ich bin seit sieben Jahren aus der Serie draußen und werde immer noch darauf angesprochen. Das hatte ich am Anfang unterschätzt.
16vor.de: Hatte Ihre Rolle in der “Lindenstraße” Auswirkungen auf Ihre nachfolgenden Engagements?
Michael Marwitz: Genau das ist ein Punkt, über den ich mir keine Gedanken mehr mache.
16vor.de: Sie sagten eingangs, dass Sie früher unbarmherzig waren wie Ödipus. Was interessiert Sie an der Rolle?
Michael Marwitz: Da ist jemand, der hat eine Stadt gerettet, und darauf ist er stolz. Er hat eine gewisse Hybris und Arroganz. Aber er ist auch ein Sympathieträger. Im Laufe dieser Krimigeschichte bricht dieser stolze, starke Mensch zusammen und es bleibt ein Häuflein Mensch übrig. Das ist eine wunderbare Parabel für unsere jetzige Zeit, in der Männer sagen: “Ich will alles unter Kontrolle haben”. Unsere Gesellschaft ist völlig over-controlled. Wehe, ein Mann hat etwas nicht unter Kontrolle. Das ist ganz schlecht für ihn.